März 27, 2015

Schluss mit der Fülle

Eine Debatte über das Fasten zeigt die Vielfalt der Motive, sich freiwillig in Verzicht zu üben. Das am häufigsten genannte: Sehnsucht nach Leere.

Ob freiwillige Enthaltsamkeit oder religiöse Verpflichtung: Der Akt des bewussten Verzichtes kann unterschiedliche Bedeutungen haben. Während die Fastenzeit traditionell mit Regeln und Feierlichkeiten verbunden ist, spielen auch persönliche Motive eine Rolle. Der Philosoph Thomas Macho sagt zum Thema Fasten: „Wer mit permanenter Fülle konfrontiert wird, sehnt sich nach Leere.“

Unter den ZEIT-ONLINE-Lesern bei Facebook findet das Fasten offenbar viel Zustimmung. Mehmet Ünal schreibt: „Die Wahrnehmung von Gerüchen ist intensiver und bei Sonnenuntergang ist ein Glas Wasser, welches sonst etwas sehr Alltägliches ist, etwas Besonderes.“ Kann eine intensive Erfahrung des Hungerns neue Denkweisen erschließen? „Kein Tag vergeht, an dem man nicht an Menschen denkt, die täglich mit Hunger, Wasserknappheit, Armut und Elend konfrontiert sind. Wenn man selbst fastet, ist diese bittere Realität nicht etwas Abstraktes, sondern etwas Gefühltes.“ Dass es nicht nur darum geht, das eigene Wohlbefinden anzustreben, findet auch Serife Turlak. Genauso gehöre es dazu, Konflikte zu vermeiden und sich von schlechten Taten zu distanzieren. Jonas Bluhm pflichtet bei, mahnt aber zugleich: „Ein Stück pädagogischer Masochismus mag beim Fasten dabei sein.“ 

Für Julia Wolff Wattenberg liegt die Ursache für ein Verlangen nach Leere, wie es Macho beschreibt, vor allem in einem permanenten Überangebot von Lebensmitteln. Volker Wortmann ergänzt: „Ich esse kein Rindfleisch, obwohl ich es mag. Das führt vor allem dazu, dass man mal die Verpackungsaufschriften liest und sich damit befasst, was man isst.“ Fasten als Mittel zur Selbstfindung und Entspannung – für einen großen Teil der Leserschaft sind das die entscheidenden Faktoren. „Es beruhigt ungemein zu spüren, wie wenig man zum Leben eigentlich braucht“, betont Karin Casablanca.  

Doch muss eine Entscheidung zwingend im Rahmen der vorgeschriebenen Konvention geschehen? Sollten verantwortungsbewusste Umgangsformen und faires Konsumverhalten nicht eigentlich alltäglicher Maßstab sein? Michael Weich kann dem „unkontrolliert hedonistischen Treiben“ nur wenig abgewinnen. „Ich faste nicht, da ich überwiegend genügsam lebe.“ Abseits der allgemeinen Regel verdienen auch ganz andere Phänomene gesteigerte Aufmerksamkeit. So sieht das Jan Straube, der unregelmäßig „Neumedienfasten“ betreibt. „Handy und Computer aus (…) und Musik oder Radio hören, Bücher lesen, spazieren… Schön, nicht erreichbar zu sein.“ 

Dieser Artikel erschien am 27. März 2015 bei ZEIT Online

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